Willkommen im virtuellen Goh Wittmersloh!

Im Jahre 1974 entstand die heutige Gemeinde Hilgermissen im Zuge der niedersächsischen Gemeindereform aus den acht ehemaligen Gemeinden Eitzendorf, Heesen, Hilgermissen, Magelsen, Mehringen, Ubbendorf, Wechold und Wienbergen. Auf den ersten Blick handelt es sich also um eine moderne Neuschöpfung. Auf den zweiten Blick stimmt das nicht, denn alle genannten Dörfer gehörten im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit zum Gerichtsbezirk des Gohgerichts Wittmersloh, eines Organs der Rechtsprechung im Amt Hoya, das zur Grafschaft Hoya bzw. zu den Welfenfürstentümern gehörte.

Die Institution der Gohgerichte ist in ganz Nordwestdeutschland verbreitetet und reicht mindestens bis ins Mittelalter zurück, möglicherweise bis zur germanischen Thingversammlung. Sie hatten neben der niederen Gerichtsbarkeit auch bestimmte Verwaltungsaufgaben wahrzunehmen, etwa die Einteilung der Burgdienste, die Organisation der Landesverteidigung und die Erhebung von Steuern und Abgaben. Der „Sachsenspiegel“, eine im 13. Jahrhundert entstandene Sammlung des damaligen Gewohnheitsrechts, liefert uns genauere Informationen: Vorsitzender Richter war der „Gogrefe“, ursprünglich ein Wahlamt, das aber später meist erblich wurde und in die Hände des örtlichen Kleinadels und der Landesherren geriet.

Brütt_Gogericht

„Gohgericht“ von Ferdinand Brütt (Foto: Hajotthu auf de.wikipedia) [Public domain], über Wikimedia Commons

Das Gericht Wittmersloh wird 1250 erstmals urkundlich genannt, allerdings noch als „Gericht Wechold“. Ende des 14. Jahrhunderts ist im Güterregister der Hoyaer Grafen vom „richte to Witmerslo“ die Rede, später taucht dann auch noch die hochdeutsche Form „Wißmersloh“ auf. Zuständig war das Gericht für die Dörfer der heutigen Gemeinde Hilgermissen, außerdem für Oiste und Martfeld. 1646 wurde die letzte Gerichtsversammlung abgehalten, deren Protokoll in den 1930er Jahren von dem Ubbendorfer Dorfschullehrer und Heimatforscher Fritz Helfers im Landesarchiv Hannover aufgefunden wurde.

Warum diese Bezeichnung? Die Endung „-loh“, das wissen wir beispielsweise vom Sellingsloh, ist ein altes niederdeutsches Wort für den Wald. „Witte“ hingegen taucht im Sprachgebrauch des Mittelalters vor allem in der Bremer Gegend in Bedeutungen wie „Gesetz“ oder „Ratsversammlung“ auf, man vergleiche etwa die „Wittheit zu Bremen“, mit der die Gesamtheit der Bremer Ratsherren bezeichnet wurde, oder das „Wittegeld“, das zahlen musste, wer zur Versammlung nicht erschien. Die Bedeutung des Ortsnamens ist also in etwa „Wald der Gerichts- und Ratsversammlung“.

Auch die Lage dieses Waldstücks kann man noch einigermaßen sicher angeben: „Wismelohe jetzo dicitur Holsten“ heißt es 1583 im Erbregister der Grafschaft Hoya, und südlich des Eitzendorfer Ortsteils Holsten erstreckt sich auf der kurhannoverschen Landesaufnahme von 1771 ein „königlicher Sünder“, also ein kleiner Wald im Privatbesitz von König Georg III. von England, der in seiner Zweitrolle als Kurfürst von Hannover Erbe der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg und damit der Grafen von Hoya war. Das Gericht wurde damals schon lange nicht mehr gehalten, aber der alte Gerichtswald war offenbar immer noch im Besitz des Rechtsnachfolgers der früheren Gerichtsherren. Diese Lokalisierung wird auch dadurch gestützt, dass manche Gerichtsversammlungen in der näheren Umgebung auf den Höfen von Eitzendorfer Bauern oder beim Wührdener Siebenmeier stattfanden.